Die zweite Karriere? Was der Ex-Spieler von Wacker Nordhausen jetzt in London macht

Das Handy ist der Stadtplan von heute. Mit diesem navigiert sich Jonas Heidrich, einst Spieler von Wacker Nordhausen, durch die engen, mit Menschen gefüllten Londoner Straßen. Schnell und einfach bekommt er ein Café auf seinem Display angezeigt. Nur wenige Gehminuten vom Buckingham Palast entfernt wird der 27-Jährige fündig. Obwohl Temperaturen von über 20 Grad nach draußen locken, sucht er sich einen Platz an einem der länglichen Holztische im Inneren. 


Locker, gelöst und völlig tiefenentspannt plaudert Heidrich über seine Zeit in London. Eher zufällig verschlug es den Görsbacher vor anderthalb Jahren in die britische Millionenmetropole. Seine einjährige Arbeitserlaubnis in den USA lief aus. In Birmingham im Bundesstaat Alabama erwarb er seinen Bachelor auf Science. Dazu spielte er parallel Fußball bei den Birmingham Southern Panthers, einem College-Team. Auch hier ist er die Nummer 1, wie beim FSV Wacker 90 Nordhausen, wo er den Durchmarsch von der sechsten bis zur vierten Liga miterlebte. Die Wege sollten sich nach dem letzten Aufstieg trennen. „Ich hatte einfach Lust darauf. Die Zeit als Fußballer ist begrenzt, es gibt auch noch ein Leben danach“, meint Heidrich. 


Statt Regionalliga ging es für ihn über den großen Teich. Der damalige Wacker-Trainer Jörg Goslar ließ ihn nur ungern ziehen. „Als Trainer würde ich dich gern behalten, es dir verbieten in die USA zu gehen. Als Mensch sage ich dir: mach‘s“, erinnert sich Heidrich noch gut an die Worte von Goslar zurück. Beide sprachen nach dem Aufstieg nochmals miteinander. „Bist du dir wirklich sicher?“, fragte Goslar. „Ja“, entgegnete ihm Heidrich. Das Gefühl im Nachgang war das richtige: „Den Blick über den Tellerrand kann ich nur empfehlen.“

Mit dem Studienabschluss in der Tasche ging er nach New York, es folgte ein mehrmonatiges Praktikum bei einem großen Modeunternehmen. Die Zeit saß ihm im Nacken, die Arbeitserlaubnis war begrenzt. Also wohin? Mit seiner Freundin Isabelle Treuille klopfte er alle möglichen Optionen ab. Paris war vorstellbar, Treuilles Vater ist Franzose und sie hat die EU-Staatsbürgerschaft. „Ich kann aber kein Französisch“, kam sogleich die Einwände ihres Freundes, der nun Deutschland favorisierte. „Isabelle spricht aber kein deutsch“, erklärte er. Was schien also näher als London. Zudem hatte das Modeunternehmen dort ein Office. 


Im Februar 2016 folgte der schmerzvolle Abschied aus New Yorker, seine Freundin folgte ihm im Mai. Beim großen Modeunternehmen arbeitet er längst nicht mehr. Statt Fashion wechselte er in den Mediabereich. Er ist tätig für einen US-amerikanischen Telekommunikationskonzern. „Wir betreiben Werbung auf Microsoft-Flächen“, erklärt Heidrich grob seine Aufgabe, die ihm sehr viel Spaß bereite. Noch viel lieber spricht er über ein anderes Projekt: Athletes USA. Auf der Homepage ist die Rede von der weltweit führenden Agentur für ein Sportstipendium in den USA. 


Heidrich hat sich seinen Arbeitstag so eingerichtet, dass er abends seine Athleten betreut. 12-Stunden-Tage seien oftmals keine Seltenheit. Die Agentur ist global tätig, er ist mitverantwortlich für den europäischen Raum. „Ich telefoniere mit den Athleten oder den Eltern, halte sie auf dem neusten Stand und beantworte Fragen zum Studium.“ Unlängst entschied sich Wackers ehemaliger Mittelfeldspieler Johannes Bergmann für ein Studienaufenthalt in den USA. Ebenso wie zuvor die Fußballerinnen Johanna Rappe vom SV Wacker Rottleberode und die gebürtige Nordhäuserin Maxi Krug vom SC 13 Bad Neuenahr.


Vermittelt werden Sportler aber nicht nur aus dem Fußball. „Wir sind sehr breit aufgestellt und vermitteln aus fast allen Sportarten. Es ist so, dass sie für ein komplettes Studium in den USA bleiben. Die Bedingungen an den Studieneinrichtungen haben schon Bundesligaformat“, betont Heidrich, der aus eigener Erfahrung nur Gutes berichten kann. Das Stipendium setzt sich aus der akademischen und der sportlichen Leistung zusammen. Ein Vollstipendium beinhaltet beispielsweise Wohnung, Bücher und Verpflegung. Auch wenn seine Anfangszeit am College nicht einfach war, anfangs gab es einige Probleme mit der Verständigung, will der diese Zeit nicht missen. Ebenso wenig wie die am Sportgymnasium in Erfurt und wie er selbst sagt „die besten zwei Jahre meiner Karriere im Männerbereich“ bei Wacker Nordhausen.

„Das war schon eine geile Zeit, die positiven Erinnerungen überwiegen. Es war einfach eine coole Zusammenstellung von Menschen, die alle das gleiche Ziel hatten“, kommt der Blondschopf regelrecht ins Schwärmen. Geblieben sind Freundschaften zu Matti Langer, David Primke, Christoph Rischker, Marcel Goslar oder Jan Löhmannsröben. Demnächst besucht ihn Wackers ehemalige Fitnesstrainer Torsten Last in London. Auch zu Jörg Goslar gibt es noch Kontakt. „Wir schreiben uns gelegentlich.“


Vielleicht auch darüber, dass Heidrich nur noch hobbymäßig kickt. Zu mehr reicht die Zeit einfach nicht. Stattdessen lockt das Stadion. Zweitligist FC Fulham hat es ihm angetan. „Ich mag das Flair, die alten Holzbänke und die Tickets sind einfacher zu bekommen.“
London ist momentan sein Lebensmittelpunkt. „Ich mag den britischen Humor und das lockere Klima. Hier ist alles entspannter als in Deutschland“, sagt Heidrich. Hier hat er eine sehr kleine Wohnung mit Garten. „Mehr brauche ich auch nicht. Ich habe keine hohen Ansprüche. Außer, dass ich so viel wie möglich erleben und sehen möchte“, sagt der Weltenbummler, der kürzlich sogar einige Tage nach Tokio reiste.

Mindestens einmal im Jahr verschlägt es ihn noch in seine alte Heimat. Vater, Bruder und Oma leben in Görsbach. „Es ist immer schön, de Familie zu sehen. Oft bleiben mir dafür aber nur drei, vier Tage“, erzählt Heidrich. Dann geht es wieder zurück nach London.
Seine Erlebnisse hält er dabei in einer Art Tagebuch fest. „Ich versuche viel aufzuschreiben, sonst vergesse ich es. Im Handy habe ich zahlreiche Bilder mit Ort und Zeit gespeichert.“ Das Handy navigiert nicht nur, es hilft auch beim Erinnern.